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kgs · publikationen · kritische berichte 03.2000
Die Verdunkelung des Raumes bringe den Redner zu leicht aus dem Konzept und die Bedienung des Apparates störe den Fluß des Vortrages, diese und noch weitere Einwände brachten die Gegner der Einführung des Skioptikons als kunstwissenschaftliches Lehrmittel hervor, als Herman Grimm vor über hundert Jahren diesem Apparat zur allgemeinen Anerkennung in der Disziplin Kunstgeschichte verhalf (1). Mit der breiten Einführung der Lichtbildprojektion in das kunstgeschichtliche Arbeiten veränderte sich die Wahrnehmung, Analysen und Interpretation der Kunsthistoriker (2). Das Bild ist als das zentrale Medium in der Vermittlung von Lerninhalten aus der Kunstgeschichte nicht mehr wegzudenken. Wenn heute die elektronischen Medien nach einem halben Jahrhundert Erfahrung mit ihnen, zu Multimedia formiert werden und der Computer darüber hinaus zum multimedialen Lernsystem wächst und als solches in allen Lebensbereichen zum Einsatz kommt, muß auch ein fundiertes und tragfähiges Wissen darüber erworben werden, wie Computermedien und digitale Bilder im Lernprozeß wirken und wie diese zum Zweck des Lernens und Lehrens genützt werden und können. Medienkompetenz ist zu einer der Schlüsselkompetenzen in den Gesellschaften der Moderne geworden, in denen zukünftig Formen der Wissensarbeit dominieren werden. Herkömmliche Vorstellungen von Dokumentation und Archiv haben eine neue Dimension durch die multimedialen elektronischen Möglichkeiten und des Internets erfahren. Zahlreiche Datenbanken bieten globalen Zugriff auf unzählige archivierte Schätze, Museen und Galerien ermöglichen das Sichten ihrer Bestände über Bilddatenbanken im Internet. Die Hochschulen und Universitäten sind durch diesen Wandel zugleich betroffen und gefordert.

Die Universität der Zukunft wird an die Humboldtsche Tradition einer Einheit von Forschung, Lehre und Bildung durch Wissenschaft anknüpfen, sich aber ebenfalls Herausforderungen stellen müssen, die mit der Digitalisierung der Welt des 21. Jahrhunderts einhergehen. Mit dem Einsatz neuer Medien in Bildung und Ausbildung ändern sich nicht nur deren inhaltliche und strukturelle Anforderungen, vielmehr bieten die Neuen Medien neue Möglichkeiten für die Aufbereitung von Wissen, seiner Präsentation sowie der Gestaltung von Vermittlungsprozessen in der Lehre. Die Förderung einer dauerhaften und breiten Integration der Neuen Medien als Lehr-, Lern- und Kommunikationsmittel, sowie die qualitative Verbesserung der Lehrangebote durch Medienunterstützung wird an zahlreichen kunsthistorischen Instituten betrieben. Am Kunstgeschichtlichen Seminar der Humboldt Universität wird in dem Projekt interaktive Homepage mit Nachdruck der Einsatz von Multimedia in der Lehre umgesetzt in Zusammenarbeit mit kunstgeschichte.de/noah (3). Ausgehend von einer Neuorganisation der Informationsangebote des Kunstgeschichtlichen Seminars der Humboldt Universität im WWW wurde ein netzbasiertes Distanzlern-Konzept mit der Zielvorgabe entwickelt, die aktuelle Präsenzlehre durch kooperativ aktualisierte und personalisierbare "Wissenspools" produktiv zu unterstützen. Zweierlei Motivationsformen standen hierbei im Vordergrund, die Lehre und Forschung gleichermaßen betreffen: Zum einen die Entwicklung datenbankgestützer Client-Server-Systeme zur digitalen Informationsaufbereitung und vernetzten Verteilung von Informationen eröffnet zum anderen die Möglichkeit, Wissensinhalte kostengünstig und unter Schonung von personalintensiven Ressourcen eines Instituts zu verteilen. Via Internet über große Entfernungen zusammengeführt und raum- und zeitunabhänig genutzt, eröffnen sie gute Voraussetzungen zum multimedialen Selbststudium. Vor dem Hintergrund bildungspolitischer Prognosen und Ansprüche im Sinne einer Verbesserung der Lehre findet sich hier technologisch und budgetadäquate Lösungen. Zum anderen die sich selbst organisierende Zusammenführung vormals isolierter Wissensquellen und deren fachgerechte Strukturierung unter der Maßgabe einheitlicher Standards und Zugriffsschnittstellen via WWW bieten der institutionalisierten Kunstgeschichte die bislang nicht umgesetzte Chance, neue Erkenntniszusammenhänge und praktische Anwendungsmöglichkeiten für den professionellen Einsatz auf Basis einer "Best-practice-Strategie" zu generieren. Um diesen unter Signaturen wie "Knowledge Management" bzw. "Wissensmanagement" firmierenden Konzepten gerecht zu werden, bedarf es einerseits einer zentral gesteuerten Rahmeninstanz, die auf technologisch-administrativer Ebene - im Sinne eines kunstwissenschaftlichen Service-Providers – die Organisation des Rahmens zur Entnahme und Eingabe von Informationen in den entstehenden Wissenspool regelt.


Aufbau einer datenbankgestützten Webseite

Basierend auf der aktuellen Struktur der Instituts-"Homepage" stellt eine im Hintergrund ihren Dienst verrichtende Content-Management-Lösung allen InstitutsmitarbeiterInnen verschiedene Möglichkeiten einer einfach zu bedienenden, dezentralen Aktualisierung der institutseigenen Informationen zur Verfügung. Zeit- und ortsunabhängig gewährt das System autorisiertem Personal den Zugriff auf vorab strukturierte Daten rund um Informationsdienste des Instituts. Zeit-/Raumplanänderungen, Veranstaltungsverzeichnisse, aktuelle Mitteilungen des Instituts, Informationskategorien, die kurzfristig schnell und unkompliziert einer Aktualisierung unterzogen werden sollen, bilden hierbei den funktionalen Kern. Sämtliche Inhalte werden aus einem SQL-fähigen Datenbankserver generiert, sind somit durchsuchbar, indexierbar und prinzipiell als "interaktiv" zu bezeichnen, insofern das Konzept der Interaktivität auf die einseitige Manipulierbarkeit von Datensätzen unter Internet-Bedingungen zu beziehen ist. Bereits in dieser Phase von entscheidendender Bedeutung im Hinblick auf die Implementierung eines institutsübergreifenden Knowledge-Management-Systems ist die Festlegung einheitlicher Indexierungsstandards nach internationalen, nationalen und individuellen Maßgaben, die konsequent auf die zu erfassenden Objekte/Datensätze anzuwenden sind. Priorität genießen hierbei die infolge der Pionierarbeit des W3-Konsortiums vertretenen offenen Metadaten-Standards, die die größtmögliche Offenheit bei gleichzeitiger Flexibilität in der individuellen Anpassung auf Basis von SGML/XML garantieren. Eine datenbankgestützte Informationsverteilung im oben beschriebenen Sinne löst bereits in diesem Stadium die wesentlichen Probleme des institutsinternen Informationsmanagements.


Online-Seminare und Distanzlernen

Im zweiten Schritt wird das vorhandene Content-Management-System um Distanzlern-Funktionalitäten erweitert. Die Einrichtung personalisierbarer Veranstaltungskalender im automatischen Abgleichen mit der Studienordnung wird hiermit möglich, ebenso die konkrete Organisation und praktische Realisation von Veranstaltungen entweder ausschließlich oder ergänzend zum "herkömmlichen" Veranstaltungsgebot. Analog zur konkreten Verteilung von Lehr- und Lernmaterialien lassen sich hier entsprechende Dokumente in elektronischer Form an die registrierten Seminarteilnehmer als "Download" oder Online-Version verteilen. Im Gegenzug stellen rezpierende Teilnehmer eigene Arbeitsunterlagen und Forschungsbeiträge der temporären Online-Community der Veranstaltung als "Upload" zur Verfügung. Auf diese Weise entsteht ohne Zusatzaufwand in finanzieller oder personalintensiver Hinsicht ein selbstorganisierendes Distanzlern-System mit zeit- und ortsunabhängig wachsenden Wissenspools, die auch nach Seminarende auf Wunsch der kunstwissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, in jedem Falle jedoch permanent elektronisch archiviert werden. Begleitende interaktive Services, wie etwa Online-Diskussionforen, begleiten die Veranstaltung ebenso wie personalisierbare Newsletter und Mailinglisten. Dem Bedarf nach visueller Repräsentation dieses Veranstaltungskonzepts sowie die Option der Multimedialität wird durch die Einbindung sprechender User-Interface-Metaphern, Bildern, Tönen und (Streaming-)Videos entsprochen. Über einen virtuellen "Schreibtisch", einen "personal workspace" im Webbrowser, ein virtuelles "Dialeuchtpult" sowie die Repräsentation eines "Handapparates" einer Bibliothek wird dem Veranstaltungsteilnehmer ein intuitiver Zugang zu unterschiedlichsten Inhalten angeboten. Die Distanzlernumgebung läßt somit die eigentliche Veranstaltung im realen Seminarraum in einem neuen Licht erscheinen.


Entstehung einer kunstgeschichtlichen Wissensplattform

Im Rahmen einer Verbreitung und Vernetzung der entstehenden Wissenspools über die Institutsgrenzen hinaus läßt sich schließlich auf Basis koordinierter inter-institutioneller Organisation ein reales "Wissensmanagement-System der Kunstgeschichte" aufbauen. Neben den klassischen Bild-, Literatur-, Ikonographiedatenbanken repräsentiert ein derartiges Wissensportal eine neuartige Sichtweise auf kunstwissenschaftliche Forschungsgegenstände und definiert den Umgang mit unserem kulturellem Erbe vollkommen neu. Eine sich selbst organisierende wissenschaftliche Gemeinschaft der Kunstgeschichte läßt Benutzerinteraktionen nicht nur als zusätzlichen, legitimen Bestandteil der Wissensgenerierung zu, sondern macht sie zur Grundlage der Wissensorganisation und -Verteilung. Anwendungen von Multimedia im kunstgeschichtlichen Arbeiten lassen auch neue Konzeptionen zur Visualisierung erkenntnisbedingter Zusammenhänge zu. Es ist nun nicht mehr ausschließlich der Naturwissenschaftler, wie z.B. wie der Biologe, der die für das menschliche Auge unsichtbare DNS via Computersimulation "präsentiert", sondern ebenfalls der Kunstwissenschaftler, der auf der Grundlage angewandter Computervisualistik Zusammenhänge aufzeigt, die aus organisierten Datenbankabfragen produziert werden. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an Visualisierungskonzepte, die im Wortsinne abstrakte, im konventionellen Gebrauch als Textinformationen ausgegebene Datenbank-Informationen "sichtbar" machen: 3-D-Umgebungen in VRML oder "ThinkMap"-Navigationsoberflächen werden das zukünftige Arbeitsinstrument des "Bildwissenschaftlers" sein, der einen Gegenstandbereich seines sich abzeichnenden Faches zum methodologischen Instrumentarium macht.




1 Bruno Meyer hatte sich viele Jahre zuvor für die Nutzbarmachung des Skioptikons im kunstgeschichtlichen Arbeiten eingesetzt und beanspruchte zudem der Urheber dieses Grundgedankens zu sein.zum fliesstext

2 Heinrich Dilly: Lichbildprojektionen – Prothesen der Kunstbetrachtung. In: Itene Below (Hg.): Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, Gießen 1975, p. 153 und Donald Preciosi: Rethinking Art History. Meditations on a Coy Science, New Haven/London 1989.zum fliesstext

3 http://www.arthistory.hu-berlin.de/forschung/distantlearning.htmlzum fliesstext

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